Herzerkrankungen sind die häufigste Todesursache bei Frauen in Österreich. So minimieren Sie Ihr Risiko: Laut…
Die moderne Herzmedizin
Industrialisierung als Vorraussetzung
Warum führen ausgerechnet die Herz-Kreislauferkrankungen die Liste der Todesursachen immer noch an? Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: Durch die bessere medizinische Versorgung überleben heute zwar immer mehr Patienten einen akuten Herzinfarkt. Dafür erkranken sie aber später oft an anderen Herzleiden. Außerdem erhöht sich das Risiko für Herzerkrankungen grundsätzlich, je älter wir werden. Dies zeigt sich sehr deutlich an der Todesursache.
Neben der steigenden Lebenserwartung gibt es weitere Faktoren, die Herzerkrankungen begünstigen. Insbesondere der Lebensstil ist relevant und bietet die Gelegenheit, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen. Wenig Bewegung, Rauchen, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch fördern hingegen die Entstehung koronarer Erkrankungen. Zum anderen spielen auch die regionalen Versorgungsstrukturen eine Rolle.
DIE MODERNE HERZMEDIZIN INDUSTRIALISIERUNG ALS VORAUSSETZUNG
Den Schreibtischjob durch Sport ausgleichen? Dieses Phänomen ist neu. Vor 200 Jahren gehörten Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch nicht zu den Volksleiden. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand Arbeit noch in erster Linie aus Bewegung. Die Menschen pflügten ihre Äcker, ernteten Obst mit den Händen, schrubbten Wäsche, stampften Butter – und konnten ihren Energieverbrauch kaum durch die Nahrung decken. Lebensmittel waren knapp. Hinzu kamen ansteckende Krankheiten und Seuchen, die sich durch die schlechten hygienischen Bedingungen schnell verbreiteten – Männer wurden im Durchschnitt 35, Frauen 38. Das hieß auch: Degenerative Erkrankungen wie Arteriosklerose waren nicht relevant.
Das änderte sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts. Infektionskrankheiten wurden beherrschbar und die Sterblichkeit von Neugeborenen und Müttern ging deutlich zurück. Wichtige Entwicklungen in dieser Zeit waren die Pasteurisierung von Milch, die Aufbereitung von Trinkwasser und die Kanalisierung des Abwassers. Das Leben der Menschen war insgesamt vom technischen Fortschritt der Industrialisierung geprägt.
Mit den neuen hygienischen Bedingungen und einer besseren medizinischen Versorgung stieg die Lebenserwartung zwischen 1900 und 1950 um 20 Jahre an. Damit rückte auch die Herzgesundheit immer stärker in den Fokus. Denn nun wurden Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur häufigsten Todesursache.
DIE MODERNE HERZMEDIZIN
NIMMT FAHRT AUF
Seit den späten 1940er Jahren und dem National Heart Act in den USA stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Fokus der Gesundheits- und Versorgungspolitik. Gesucht wurden Wege zur Reduzierung der dramatischen Mortalitätsraten und zur weiteren Verbesserung der medizinischen Versorgung. Und so nahm die Entwicklung ab den 1950er Jahren Fahrt auf. Die Herzkatheteruntersuchung, die der deutsche Arzt Werner Forßmann 1929 in einem Selbstversuch zum ersten Mal getestet hatte, wird zum Standard. In Stockholm implantiert Åke Senning den ersten Herzschrittmacher. Danach geht es Schlag auf Schlag. Diesmal sind es im Wesentlichen die Fortschritte in der Medizin, die das Leben der Menschen verlängern.
1974 IST ES SO WEIT – DIE ERSTE BALLONDEHNUNG EINER HERZARTERIE
Bis dahin war es allerdings ein langer Weg. Andreas Grüntzig wird 1939 in Dresden geboren und flieht 1957 nach Westdeutschland. Er studiert Medizin in Heidelberg, arbeitet anschließend im Städtischen Klinikum Darmstadt. Dort lernt er Patienten kennen, die unter der sogenannten Schaufensterkrankheit leiden – verengte Gefäße stören dabei den Blutfluss in den Beinen so stark, dass die Betroffenen in kurzen Abständen stehen bleiben müssen und häufig so tun, als betrachteten sie Schaufenster, um ihr Problem zu überspielen.
Dem jungen Grüntzig lässt das Thema nicht los. Er bewirbt sich in der angiologischen Abteilung in Zürich, wo er schon zwei Jahre später eine Methode einführt, die der Amerikaner Charles Dotter entwickelt hat. Eine verschlossene Arterie wird dabei mit einem sehr dünnen Katheter aufgestoßen und die Prozedur jeweils mit einem größeren Katheter wiederholt, bis das Blut wieder ungehindert fließt.
WIDERSTRAND TROTZ GROSSER ERFOLGE
Wie er auf die Idee kam, eine verengte Arterie mit einem Ballon zu erweitern, hat Andreas Grüntzig nie verraten, aber am 12. Februar 1974 ist es so weit: Er dilatiert die Beinarterie eines Patienten erfolgreich
mit einem seiner selbst hergestellten Ballonkatheter.
Als er mit dem Öffnen von Herzkranzgefäßen den nächsten Schritt wagen will, stößt der Mediziner dennoch auf erbitterten Widerstand seiner Kollegen. Bis Åke Senning – selbst ein Pionier der Herzmedizin und Implanteur des ersten Herzschrittmachers – sich auf seine Seite schlägt. Der Direktor der Chirurgischen Klinik steht mitten in einer Fallbesprechung auf und sagt den entscheidenden Satz: „Machen Sie’s, falls etwas passiert, operiere ich!“
Am 16. September 1977 stimmt Dölf Bachmann zu, sich als erster Patient der Welt ein verengtes Herzkranzgefäß mit einem Ballonkatheter erweitern zu lassen – er lebt heute im schweizerischen Igis. Die Methode ist einfach zu lernen und verbreitet sich entsprechend schnell. Trotzdem erhält Grüntzig nicht genug Betten für seine Patienten. Er will den Menschen helfen, statt sie auf Wartelisten zu setzen, und nimmt schließlich ein Angebot aus Atlanta an. Porsche, Villa, Privatflugzeug – in Amerika avanciert er zu einer Art Medizin-Star und warnt trotzdem davor, seine Technik inflationär zu verwenden. Ein Flugzeugunglück bedeutet das jähe Ende seines Schaffens: Am 27. Oktober 1985 stürzt Grüntzig mit seinem Privatflugzeug ab. Die Ballondilatation ist jedoch eines der wichtigsten geistigen Exportprodukte der Schweiz geblieben. Bis zur ersten Stent-Implantation sind es nur noch wenige Jahre.
Quelle:
Dr. Hubert Wallner
Präsident Salzburger Herzverband